Soziale Gerechtigkeit

Ansätze - Projekte - Denkanstöße

Familien­splitting statt Ehe­gatten­splitting

Familien als Armutsrisiko

Familien sind für die Zukunft unser Gesellschaft von zentraler Wichtigkeit. Dennoch gelten Familien als Armutsrisiko. [1] Besonders hart betroffen sind Alleinerziehende.[2]

Unzureichende Steuerentlastung für Familien

Weil Familien mit Kindern für unsere Gesellschaft so wichtig sind und gleichzeitig häufig von Armut bedroht sind, würde man erwarten, dass der Staat für Familien mit Kindern wenigstens eine großzügige Steuerentlastung vornimmt. Das ist jedoch nicht der Fall.
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Für die Kinder wird nur ein Kinderfreibetrag bei der Steuer berücksichtigt. Dieser Freibetrag ist jedoch nur für Familien mit einem zu versteuernden Einkommen ab ca. 63000 € von Vorteil. Alle anderen Familien erhalten das Kindergeld und keinen weiteren zusätzlichen Steuervorteil.[3]

Ehegattensplitting

Ein Steuervorteil, der gewährt wird, ist das Ehegattensplitting. Ehepaare werden so versteuert, als würden beide Ehegatten gleichviel verdienen. Der Sinn dieser Steuererleichterung ist umstritten[4] und der Steuerausfall, den der Staat hierdurch hat, ist beträchtlich.[5] Es gibt eine Reihe von Ansätzen mit dem Ziel, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Ziel ist, das Ehegattensplitting durch eine stärkere Familienförderung zu ersetzen.[6][7]

Bislang war die Abschaffung des Ehegattensplittings jedoch nicht durchsetzbar. Hierfür gibt es zumindest einen naheliegenden Grund.
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Der Bürger kann vermuten, dass eine Abschaffung des Ehegattensplittings zuerst einmal eine reine Steuererhöhung ist. Ein solcher Verdacht wird dadurch genährt, dass zwar vollmundig angekündigt wird, es gibt eine Entlastungen für Familien. Wie diese aussehen soll, wird jedoch nicht ausreichend klar dargestellt. Beispielsweise schreibt die SPD in ihrem Artikel zum Leitantrag „Moderne Familienpolitik“ nur: „Einen mutigen Schritt will die SPD auch bei der steuerlichen Förderung von Familien gehen. Von einem sozialdemokratischen Familiensplitting könnten demnach deutlich mehr Familien profitieren. Denn anders als beim jetzigen Ehegattensplitting könnten dann auch Eltern ohne Trauschein steuerlich bessergestellt werden. Ein Bestandsschutz soll aber dafür sorgen, dass Ehen, wenn sie die jetzige Regelung in Anspruch nehmen, dies auch in Zukunft tun können. Auch Alleinerziehende sollen mehr Netto vom Brutto behalten können und das Kindergeld soll – sozial gestaffelt – vor allem Familien mit kleinen und mittleren Einkommen noch besser unterstützen.”[6] Das ist für den Bürger sicherlich nicht befriedigend, weil es zu unklar ist, und die Gefahr besteht, dass das Ehegattensplitting zwar abgeschafft wird, aber das Geld woanders „versickert“. Die gleiche Kritik muss man den GRÜNEN machen, die in diesem Punkt auch nicht sehr konkret werden: „Das Geld, das der Staat so spart, kann er in bessere Kinderbetreuung investieren“ und „Wir wollen die Höhe des Ehegattensplittings begrenzen.“[8] Was bedeutet die letzte Aussage?

Alternativmodell: Familiensplitting

Sozial wesentlich gerechter als ein Ehegattensplitting wäre ein Familiensplitting. Dabei umfasst der hier dargelegte Vorschlag durchaus auch die positiven Aspekte des Ehegattensplittings.[9]

Die Grundlegende Idee ist: Die Besteuerung sollte sich am Bedarf einer Lebensgemeinschaft (z.B. Familie oder Ehe) ausrichten. Eine Familie mit vier Kindern hat sicherlich einen höheren Bedarf als ein kinderloses Ehepaar. Daher sollte hier auch eine höhere steuerliche Entlastung greifen. Der finanzielle Bedarf einer Familie steigt jedoch nicht linear mit der Zahl der Mitglieder.[10] Dies wird z.B. berücksichtigt bei der Höhe der Sozialhilfe. Es wird jedoch nicht berücksichtigt bei der Höhe der Steuern, die eine Lebensgemeinschaft zahlen muss.

Einkommen und Lebensstandard

Damit eine Lebensgemeinschaft den gleichen Lebensstandard hält muss das Einkommen nicht linear mit der Zahl der Mitglieder wachsen. Wieviel Einkommen erforderlich ist, damit der Lebensstandard gleichbleibt, auch wenn die Zahl der Mitglieder variiert, gibt das sogenannte Äquivalenzeinkommen an.[11] Eine weit verbreitete Skala für die Berechnung des Äquivalenzeinkommens ist die OECD-Skala.[12]
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Es wird unterschieden zwischen der neuen und der alten OECD-Skala. Gemäß der neuen OECD-Skala muss im Vergleich zu einem Erwachsenen das Einkommen bei zwei Erwachsenen um den Faktor 1,5 höher sein. Bei zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren muss das Einkommen für den gleichen Lebensstandard um 2,1 höher sein als das Einkommen eines Alleinstehenden. Bei der alten OECD-Skala lag der Faktor für zwei Erwachsene bei 1,7 und bei zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2,7 (siehe Wikipedia[12]).

Sozial gerecht erscheint, wenn sich die Höhe der Steuer nach dem Lebensstandard und damit am Äquivalenzeinkommen orientiert. Hier wird eine einfache Berechnungsformel für die Steuer vorgeschlagen: Die erste Person wird mit dem Faktor 1.0 gerechnet, jede weitere Person mit dem Faktor 0,5. Der Prozentsatz der Steuer bei einer Person wird gemäß der normalen Steuertabelle (siehe z.B. [13]) berechnet. Bei zwei oder mehr Personen wird der Äquivalenzfaktor bestimmt. Er beträgt z.B. bei vier Personen 2,5.[14]

Welche konkrete steuerliche Entlastung wird vorgeschlagen?

Der Prozentsatz der Steuer wird nach dem Äquivalenzeinkommen bestimmt. In anderen Worten: Der Prozentsatz der Steuer ist so, als wäre das Gesamteinkommen der Familie um den Äquivalenzfaktor reduziert.
Der Prozentsatz der Steuer bestimmt sich am Einkommen dividiert durch den Äquivalenzfaktor.

Äquivalenzeinkommen = (2*Familieneinkommen) / (Personenanzahl+1).

Zu beachten ist, dass weiterhin das Gesamteinkommen versteuert wird. Der Steuersatz hierfür ist allerdings umso kleiner, je mehr Personen sich das Einkommen teilen müssen.

Konkrete steuerliche Auswirkungen am Beispiel ... mehr

Als erstes Beispiel nehmen wir die Steuer bei einem zu versteuerndem Gesamteinkommen von 50000 € im Jahr 2016. Der Prozentsatz der Steuer beträgt für einen Alleinstehenden 25,27 %. 25,27% von 50000 € sind 12635 € Steuern.
In der folgenden Tabelle wird die Steuerersparnis verglichen mit der bestehenden Steuerersparnis durch das Ehegattensplitting.

Zu versteuerndes Einkommen: 50000 € (Steuerersparnis bezogen auf eine Steuer von 25,27% =12635 €)
PersonenProzent­satz SteuerSteuer­erspar­nis Vergleich: Er­sparnis
mit Ehe­gatten­split­ting
1 Er­wachsener 25,27% 0 € 0 €
2 Er­wachsene (ver­heiratet) 19,61% 2830 € 4720 €
2 Er­wachsene (ver­heiratet) 1 Kind 15,83% 4720 € 4720 €
2 Er­wachsene (ver­heiratet) 2 Kinder 12,80% 6235 € 4720 €
2 Er­wachsene (ver­heiratet) 3 Kinder 10,15% 7560 € 4720 €
1 Er­wachsene (allein­erziehend) 1Kind 19,61% 2830 € 0 €
1 Er­wachsene (allein­erziehend) 2 Kinder 15,83% 4720 € 0 €


Zu versteuerndes Einkommen: 30000 € (Steuerersparnis bezogen auf eine Steuer von 18,23% =5469 €)
PersonenProzent­satz SteuerSteuer­erspar­nis Vergleich: Er­sparnis
mit Ehe­gatten­split­ting
1 Er­wachsener 18,23% 0 € 0 €
2 Er­wachsene (ver­heiratet) 12,80%1629 € 2919 €
2 Er­wachsene (ver­heiratet) 1 Kind 8,50%2919 € 2919 €
2 Er­wachsene (ver­heiratet) 2 Kinder 4,83% 4020 € 2919 €
2 Er­wachsene (ver­heiratet) 3 Kinder 2,06% 4851 € 2919 €
1 Er­wachsene (allein­erziehend) 1Kind 12,80% 1629 € 0 €
1 Er­wachsene (allein­erziehend) 2 Kinder 8,50% 2919 € 0 €

Eine Familie mit drei Kindern spart also im Jahr zusätzlich ca. 2800 € (bei 50000 € Familieneinkommen) an Steuern gegenüber der bisherigen Regelung mit Ehegattensplitting.
Besonders deutlich ist der Effekt der Steuerentlastung für Alleinerziehende. Bei einem Einkommen von 30000 € und zwei Kindern liegt die Ersparnis bei 2919 €. Die Steuerlast wird um mehr als die Hälfte reduziert (von 5469 € auf 2550 €).[15] Damit wächst auch für in Teilzeit arbeitende Alleinerziehende die Chance, ohne Sozialhilfe über die Runden zu kommen.

Gewinner und Verlierer dieses Vorschlages

Gewinner sind alle Familien mit mehr als drei Personen. Bei Familien mit drei Personen, davon zwei Erwachsenen gibt es keine Änderung. Besonders spürbar ist der Gewinn für Alleinerziehende. Nur in einem Fall gibt es einen Nachteil: Bei verheirateten Paaren ohne Kinder ist die Steuerersparnis reduziert.

Vorteile dieses Vorschlages

Es gibt eine Reihe von Vorteilen:

  • Das Ehegattensplitting wird ersetzt, ohne dass dies eine Steuererhöhung bedeutet.[16]
  • Der soziale Aspekt des Ehegattensplittings bleibt bestehen: Auch Ehepaare ohne Kinder behalten einen steuerlichen Vorteil, sofern ein Partner weniger als der andere verdient.
  • Familien mit mehr als einem Kind werden spürbar steuerlich entlastet.
  • Insbesondere die Alleinerziehenden, die am meisten armutsgefährdet sind und bisher kaum Steuererleichterungen hatten, erhalten endlich einen spürbaren Steuervorteil.



Anmerkungen und Quellen:

[1] „Familiengründung darf kein Armutsrisiko sein“ in Süddeutsche Zeitung vom 12.9.2016 www.sueddeutsche.de/leben/kinderarmut-familiengruendung-darf-kein-armutsrisiko-sein-1.3158745.

[2] „Alleinerziehende leben fünfmal häufiger in Armut als Paarhaushalte“ Studie der Bertelsmannstiftung, 6.7.2016, www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/familie-und-bildung-politik-vom-kind-aus-denken/projektnachrichten/alleinerziehende-leben-fuenfmal-haeufiger-in-armut-als-paarhaushalte/.

[3] „Zum Zuge kommt der Kinderfreibetrag bei steuerpflichtigen Eltern, deren Besteuerung nach der Splitting-Tabelle vorgenommen wird, erst ab einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von ca. 63.500€ …“ siehe z.B. www.kindergeld.info/kinderfreibetrag.html.

[4] siehe z.B. „Ehegattensplitting: Der lange Schatten der Hausfrauenehe“ in Der Tagesspiegel vom 14.6.2014 www.tagesspiegel.de/politik/ehegattensplitting-der-lange-schatten-der-hausfrauenehe/10042290.html

[5] „Circa 20 Milliarden Euro jährlich verliert der Staat durch diesen Steuervorteil an Einnahmen.“ aus ZEIT ONLINE vom 4.2.2013 www.zeit.de/gesellschaft/familie/2013-02/familienpolitik-leistungen-sinn-und-unsinn/seite-4

[6] „Sozialdemokratisches Familiensplitting geplant“ aus „Leitantrag ‚Moderne Familienpolitik‘ für den Bundesparteitag SPD rückt Kinder in den Mittelpunkt“ vom 19.10.2015 in www.spd.de/aktuelles/detail/news/spd-rueckt-kinder-in-den-mittelpunkt/19/10/2015/.

[7] „Grüne wollen Ehegattensplitting für künftige Ehen abschaffen“ aus Süddeutsche Zeitung vom 12.11.2016 www.sueddeutsche.de/news/politik/parteien-gruene-wollen-ehegattensplitting-fuer-kuenftige-ehen-abschaffen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-161112-99-157099.

[8] aus dem Faltblatt 16|57 der Grünen: „Kinder fördern statt Ehen - Ehegattensplitting reformieren“ www.gruene-bundestag.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/Ehegattensplitting.pdf.

[9] Positive Aspekte beim Ehegattensplitting in Hinblick auf soziale Gerechtigkeit: Positiv ist, dass für die Besteuerung nicht nur das Einkommen berücksichtigt wird. Es wird stattdessen berücksichtigt, wieviel Einkommen jedem Ehepartner zur Verfügung steht. Die Ehepartner werden also als kleine Solidargemeinschaft gesehen. Die Höhe der Steuern, die sie zahlen müssen, hängt vom Durchschnittswert des Einkommens in dieser Solidargemeinschaft ab.

[10] Ein sehr anschaulicher und empfehlenswerter Beitrag hierzu findet sich bei Quarks und Co „Bist Du reich genug?“ www.wdr.de/tv/applications/fernsehen/wissen/quarks/pdf/Q_Reich.pdf. Das Video findet sich z.B. unter dokustreams.de/quarks-co-bist-du-reich-genug/

[11] Äquivalenzeinkommen, siehe Wikipedia de.wikipedia.org/wiki/Äquivalenzeinkommen

[12] „Nach der neuen bzw. modifizierten OECD-Skala (OECD-modified scale) geht der Hauptbezieher des Einkommens mit dem Faktor 1,0 in die Gewichtung ein, alle anderen Mitglieder des Haushaltes im Alter von 14 und mehr Jahren mit 0,5 und alle anderen mit 0,3 (50 % und 30 %)“ siehe Wikipedia de.wikipedia.org/wiki/OECD-Skala

[13] Einkommenssteuer Grundtabelle 2017, siehe www.grundtabelle.de/Grundtabelle-2017.pdf

[14] Für die Bestimmung der Familiengröße könnten Kinder solange berücksichtigt werden, wie für die Kinder Kindergeld gezahlt wird.

[15] Das ist übrigens die gleiche Steuerbelastung die zurzeit ein kinderloses Ehepaar mit gleichem Einkommen erhält.

[16] Ob das Familiensplitting zu mehr oder weniger Steuerentlastung führt als das Ehegattensplitting ist zurzeit noch unklar. Um dies zu klären ist eine genaue Analyse der bestehenden Steuerdaten notwendig.