Soziale Gerechtigkeit

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Steuerhinterziehung und Steuerumgehung verhindern

Steuerhinterziehung verschärft soziale Ungleichheit. Je mehr Steuern der Staat durch Hinterziehung verliert, desto mehr müssen die Bürger zahlen, die keine Steuern hinterziehen, denn die Gesamtausgaben des Staates werden ja nicht weniger. Da viele Möglichkeiten der Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung nur von reicheren Personen oder von größeren Konzernen genutzt werden können, profitieren hauptsächlich die Reicheren von der Steuerhinterziehung oder Steuervermeidung.

Bis zu einer Billion Euro Verlust in der EU durch Steuervermeidung und Steuerflucht

Nach Aussage des EU-Kommissar Algirdas Šemeta aus dem Jahr 2012 gehen „etwa eine Billion Euro … durch Steuerhinterziehung und Steuerumgehung verloren“[1]. Trotz gesteigerter Versuche, dies zu verringern, z.B. Ankauf von Steuer-CDs[2], dürfte das Gesamtausmaß des Schadens auch heute noch sehr hoch sein. Bundesweit werden die Mehreinnahmen durch Steuernachzahlungen nach Selbstanzeigen dem Spiegel zufolge auf vier bis fünf Milliarden Euro geschätzt.

Man könnte nun denken: „Was kümmert es mich, wenn der Staat weniger Geld hat. Ich bin davon doch nicht betroffen.“ Dies ist jedoch ein Trugschluss. Es geht für jeden Bürger um das eigene Geld.

Steuern gehören den Bürgern

Das Geld, das der Staat erhält, ist ja das Geld von allen Bürgern. Würde keine Steuerhinterziehung erfolgen, so könnte dieses Geld, das allen Bürgern gehört, wieder auf alle verteilt werden.

Teilt man eine Billion Euro (= geschätzter Steuerverlust in EU) auf ca. 500 Millionen Menschen (= Anzahl der EU-Bürger) auf, dann bleiben pro Person und Jahr ca. 2000 €. Nach dieser Rechnung hat eine vierköpfige Familie einen jährlichen Schaden von ca. 8000 €. Gemessen an der Höhe des Schadens ist der Aufschrei in der Bevölkerung klein.

Warum regt sich der Bürger so wenig über Steuerhinterziehung auf? ... mehr
Hierfür gibt es sicherlich mehrere Gründe. Zwei davon sind vermutlich:
  • Man glaubt, der Staat gibt das Geld für Zwecke aus ohne dass man selber davon profitiert. Man hat kein Gefühl dafür, dass es das eigene Geld ist, das hinterzogen wird.
  • Die Zahlen sind zu hoch und bleiben dem Bürger zu abstrakt. Der Bürger weiß, was Alltagsbeträge im persönlichen Budget bedeuten. Beispielsweise kennt jeder genau den Unterschied zwischen 10 € oder 1000 € für eine private Ausgabe. Der Unterschied zwischen 100 Millionen, einer Milliarde oder gar einer Billion ist weniger klar.

Vielleicht gibt es ja noch welche, die sagen: „2000 €, das ist aber wenig. Das sind nicht mal 200 € pro Monat.“ Dem kann man entgegenhalten, dass sie den Schaden mit den Einnahmen aus Lohn- und Einkommenssteuer vergleichen können. Hier wird der Ausmaß des Schadens gut deutlich: Das Geld würde reichen, dass alle Lohn- und Einkommenssteuerzahler mit zu versteuerndem Jahreseinkommen von weniger als 50000 € keine Steuern zahlen müssten. Das betrifft drei Viertel aller Lohn- und Einkommenssteuerzahler. Für das restliche Viertel der Steuerzahler (Einkommen über 50000 €) könnte die Steuer um mehr als die Hälfte gesenkt werden. [3]

Warum ist es möglich, dass so viel Geld verloren geht?

  • Fehlendes Bewusstsein, dass es das eigene Geld ist.
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    Man denkt, das Geld gehört dem Staat. Man vergisst dabei, dass dieses Geld allen Bürgern gehört und deshalb zum Teil das eigene Geld ist.
  • Fehlende Transparenz von Geldgeschäften, z.B. Bankgeheimnis, Briefkastenfirmen etc.
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    Eine Vielzahl von Beratern, Firmen, Banken und Institutionen profitiert von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Die hierbei erforderliche Verschwiegenheit wird den Banken und Beraterfirmen gut honoriert. Auch einige Staaten profitieren prächtig davon, indem sie Steueroasen schaffen. Alle diese Gruppierungen haben ein großes Interesse daran, dass Geldgeschäfte weithin im Vorborgenen betrieben werden können.
  • Unzureichende Strafen
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    Unzureichende Strafen können in vielen Fällen ein Grund dafür sein, dass Steuern nicht gezahlt werden. Ein Beispiel hierfür bieten die sogenannten Cum-Cum-Geschäfte, mit denen der Staat um Millionen betrogen wurde. Wegen Schlupflöchern in den Gesetzen scheint es hier kaum Bestrafungen zu geben. Es ist sogar unklar, ob die Banken das hinterzogene Geld überhaupt zurückzahlen müssen.[6]
  • Negative Auswüchse der Globalisierung
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    Was ist hiermit gemeint? Damit sind die Aspekte der Globalisierung gemeint, von denen nur eine Minderheit der Bürger profitiert, während der Mehrheit geschadet wird. Hierzu gehört unter anderem die Möglichkeit, dass Unternehmen ihre Firmen so strukturieren können, dass für sie Gewinne nur in Steueroasen anfallen. Dadurch müssen Unternehmen trotz hoher Gewinne keine oder kaum Steuern zahlen. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist Apple, das in Irland nur 0,005 Prozent Steuern zahlen muss.[7]

Punkte mit akutem Handlungsbedarf

  • Regeln für Globalisierung

    Eine Globalisierung ohne Regeln ist unsozial. Aktuelle Beispiele für sinnvolle Regeln, von denen die Gesamtheit profitieren kann, sind die Einführung einer Finanztranzaktionssteuer [8] oder Sanktionen gegenüber Steueroasen, wobei der erste Schritt die Aufstellung einer Liste mit Steueroasen ist [9].

    Soziales Dilemma ... mehr
    Wenn sich mehrere Parteien, z.B. Länder, auf Regeln für die Globalisierung einigen wollen, tritt häufig ein sogenanntes „Soziales Dilemma“[10] auf. Dies lässt sich kurz so beschreiben: Das Land, dass die Regel nicht befolgt, profitiert zu Lasten aller Länder, die die Regel befolgen.
    Wenn alle die Regeln einhalten, haben alle einen Vorteil. Wenn eine oder wenige Parteien die Regeln nicht einhalten, dann haben diese Parteien einen großen Vorteil. Die anderen haben nur noch einen geringen Vorteil oder sogar einen Nachteil.
    Ein anschauliches Beispiel bietet das „Überfischungsproblem“ der Weltmeere.[11]

    Am Beispiel der Erarbeitung einer „Schwarzen Liste“ von Steueroasen durch die EU kann man leider auch sehen, wie schwierig es ist, Regeln gegen Steuerhinterziehung einzuführen. Wolfgang Schäuble (CDU) berichtete nach einer Brüsseler Sitzung hierzu: „So habe ein EU-Land erklärt, ‚Null-Besteuerung ist auch Besteuerung. Das ist nicht etwa eine Nicht-Besteuerung, sondern eine Besteuerung mit einem bestimmten Satz‘ …“ [9]

    Solange kein Konsens zwischen den Staaten möglich ist, muss nach Möglichkeiten gesucht werden, eine Regelung für den einzelnen Staat zu finden. Ein Beispiel hierfür bieten die Vorschläge zum Punkt: „Verhinderung von Gewinntransfer“.

  • Gewinntransfer in Niedrigsteueroasen.

    Unternehmen müssen Steuern auf ihre Gewinne zahlen. In Deutschland beträgt diese Steuer ca. 30 Prozent[12]. Um das zu vermeiden, versuchen einige Unternehmen ihre Gewinne in Steueroasen zu erwirtschaften. Ganz große Unternehmen können auch versuchen, mit einzelnen Staaten eine Sondersteuer zu vereinbaren.

    Beispiel für Steuervermeidungsmechanismus ... mehr
    Einer der Mechanismen, die zur Steuervermeidung anwendbar sind, kann an folgendem konstruierten Beispiel verdeutlicht werden: Ein Software-Konzern will keine Steuern zahlen.
    Das Unternehmen vereinbart in einer Steueroase (möglich wären aber auch EU-Länder, z.B. Irland), dass der Steuersatz nur 0,005 Prozent betragen soll. Dorthin wird der Hauptsitz des Unternehmens gelegt. Der Hauptsitz hält offiziell (zumindest wird nach außen so getan) die Rechte an der Idee (z.B. Softwarelizenz), mit denen das Unternehmen erfolgreich ist. Die Tochtergesellschaften in anderen Ländern, z.B. Deutschland, würden eigentlich einen hohen Gewinn erwirtschaften (z.B. mehrere Milliarden Euro), den sie versteuern müssten. Aber da die Tochterunternehmen an den Hauptsitz des Unternehmens hohe Gebühren für die Idee zahlen müssen (ebenfalls mehrere Milliarden Euro), bleibt für die Tochtergesellschaft kein Gewinn. Nur am Hauptsitz fallen für das Unternehmen Gewinne an, die nur mit 0,005 Prozent versteuert werden.

    Durch die Möglichkeiten des Gewinntransfers, der für Unternehmen in Folge einer fortschreitenden Wirtschaftsglobalisierung immer leichter wird, gibt es einen zunehmenden Konkurrenzkampf zwischen den Staaten: Wer bietet die kleinsten Unternehmenssteuersätze an. Dieser Wettbewerb ist im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit fatal.[13]

Konkrete Ansatzpunkte

  • Verhinderung von Gewinntransfer.

    Freihandel darf nicht so weit getrieben werden, dass dies für Gewinntransfer missbraucht werden kann. Da hierzu offensichtlich keine Vereinbarungen zwischen den Staaten möglich sind, müssen Regeln gefunden werden, die von einzelnen Staaten oder von Staaten, die sich zu kleinen Gruppen zusammenschließen, durchgeführt werden können.

    Eine mögliche Lösung zur Verhinderung des Gewinntransfers wäre folgende Regelung: Tochterunternehmen innerhalb eines Landes müssen den Anteil an Gewinnsteuern zu den inländischen Steuerbedingungen zahlen, der der Größe des Tochterunternehmens in Bezug zur Größe des Gesamtunternehmens entspricht.
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    Ein Softwarekonzern erzielt weltweit 5 Mrd. € Gewinn. Das Unternehmen hat weltweit Betriebskosten von 10 Mrd. € und im Inland Betriebskosten von 0,5 Mrd. €. Dann beträgt der Anteil der Betriebskosten im Inland 1/20 der gesamten Betriebskosten. Daher wäre im Inland ein Gewinn von 250 Mill. € (= 1/20 * 5 Mrd.) zu versteuern.

    Um dies zu erreichen, muss gegebenenfalls auch mit auf den ersten Blick für die Firmen unpopulären Methoden vorgegangen werden.
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    Beispielsweise könnte es nötig sein, für alle Transferzahlungen in das Ausland (also auch Kauf von Geräten etc.) eine Abgabe in Höhe der Gewinnsteuer zu berechnen. Diese Abgabe müsste die Firma in jedem Fall zahlen, wenn das Geld an eine Firma geht, die in einer Steueroase liegt oder deren Besitzerstruktur nicht klar ist. Wenn das Geld an eine Firma mit mehrheitlich anderen Besitzern fließt, dann muss keine Abgabe gezahlt werden. Wenn das Geld an eine Tochterfirma geht oder eine Firma, die mehrheitlich die gleichen Besitzer hat, dann muss die Abgabe nicht gezahlt werden, wenn der weltweite Gesamtgewinn der Gesamtfirma korrekt angegeben wird. In diesem Fall wird nur der Gewinnanteil, der der Größe des inländischen Teilunternehmens entspricht, versteuert

    Die Kontrolle hierzu ist sicherlich nicht einfach. Wichtig ist dabei, dass die Strafen bei einer willentlichen Umgehung ausreichend hoch sind, so dass tatsächlich die Regeln eingehalten werden.

  • Ausreichende Strafen bei illegaler Steuervermeidung.

    Wegen der Komplexität der Verflechtungen der Firmen, ist es häufig schwierig, illegale Machenschaften bei der Steuervermeidung zu erkennen. Die Täter können damit rechnen, in vielen Fällen ungeschoren davonzukommen, oder nur geringe oder keine Strafen zu erhalten. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Nur wenn die gesetzlichen Regeln ausreichend überwacht werden und die Strafen tatsächlich einen Abschreckungseffekt haben, dann kann damit gerechnet werden, dass tatsächlich weniger Steuern hinterzogen werden.



Anmerkungen und Quellen:

[1] „EU warnt vor Steuerausfall von 1 Billion Euro“ in Frankfurter Allgemeine Wirtschaft vom 6.12.2012 www.faz.net/aktuell/wirtschaft/recht-steuern/vorgehen-gegen-steuersuender-eu-warnt-vor-steuerausfall-von-1-billion-euro-11984628.html.

[2] „NRW kauft weitere Steuer-CD: Betrug um 70 Milliarden Euro“ aus Süddeutsche Zeitung vom 31.10.2015 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nrw-kauft-weitere-steuer-cd-betrug-um-milliarden-euro-1.2716967. Anmerkung: Der Titel ist leider irreführend. Der Schaden beträgt nicht 70 Mrd. Euro, sondern für einen Umsatz von 70 Mrd. wurde Kapitalertragssteuer hinterzogen.

[3] Berechnung: Bei einem durchschnittlichen Schaden von 2000 € pro Person liegt der Gesamtbetrag des Steuerverlusts für Deutschland bei ca. 160 Mrd. Euro. (80 Millionen Einwohner * 2000 €). Lohn- und Einkommenssteuer betrugen für das Jahr 2015 in Deutschland ca. 227,5 Mrd. € (178,9 Mrd. Lohn- und 48,6 Mrd. Einkommenssteuer[4]). Von allen Lohn- und Einkommenssteuerzahlern hatten drei Viertel (75%) ein Einkommen unter 50327 €. Diese 75% zahlten 23% des Steueraufkommens (ca. 52,3 Mrd. €) [5].
Die 160 Mrd. € könnten so aufgeteilt werden, dass die 75% „weniger Verdienenden“ nichts mehr zahlen. Dafür werden ca. 52 Mrd. € benötigt. Die restlichen 108 Mrd. € könnten zur Entlastung der 25 % „besser Verdienenden“ mit Einkommen über 50000 € im Jahr eingesetzt werden. Dadurch müssten die 25% „besser Verdienenden“ statt 175 Mrd. € (= 77 % von 227,5 Mrd) nur noch ca. 67 Mrd. € (175 Mrd. – 108 Mrd.) zahlen. Unterm Strich wäre das deutlich weniger als die Hälfte ihres bisherigen Steuerbeitrags.

[4] „Die Steuereinnahmen des Bundes und der Länder im Haushaltsjahr 2015“ www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2016/01/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-2-steuereinnahmen-haushaltsjahr-2015.html.

[5] Bundesministerium der Finanzen: Einkommen- und Lohnsteuer – Ausgabe 2016. www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2015-09-16-Einkommen_Lohnsteuer_lang.pdf?__blob=publicationFile&v=4

[6] „Cum/Cum-Aktiendeals: Finanzministerium im Streit mit NRW“ vom 17.11.2016 in BR-Online www.br.de/nachrichten/cumcum-banken-schonen-100.html.
Textauszug: „Die umstrittenen Cum/Cum-Aktiendeals brachten den Fiskus um Steuereinnahmen in Milliardenhöhe. Trotzdem will Finanzminister Schäuble die Banken offenbar schonen. Das haben BR Recherche, report München und das Handelsblatt recherchiert. Ein Veto aus Nordrhein-Westfalen wurde ignoriert.“

[7] „Steuernachzahlung von 13 Milliarden: So tricksten Apple und Irland die EU aus“ in n-tv vom 30.08.2016 www.n-tv.de/wirtschaft/So-tricksten-Apple-und-Irland-die-EU-aus-article18530711.html

[8] „Kampf gegen Spekulanten: Finanztransaktionsteuer könnte 2018 kommen“ in Spiegel Online vom 11.10.2016 www.spiegel.de/wirtschaft/eu-finanztransaktionssteuer-war-noch-nie-so-nahe-a-1116172.html

[9] „Steueroasen: EU erarbeitet Schwarze Liste“ in Südwest Presse vom 22.2.2017 www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/steueroasen_-eu-erarbeitet-schwarze-liste-14485510.html

[10] „Soziales Dilemma“ in Wikipedia de.wikipedia.org/wiki/Soziales_Dilemma

[11] „Überfischung“ in Wikipedia de.wikipedia.org/wiki/Überfischung

[12] „Unternehmensbesteuerung“ in Wikipedia de.wikipedia.org/wiki/Unternehmensbesteuerung

[13] „Oh, wie schön ist Panama! Wie lässt sich Steuerwettbewerb zwischen Staaten einschränken?“ in Frankfurter Allgemeine Wirtschaft vom 27.8.2016 www.faz.net/aktuell/wirtschaft/recht-steuern/wie-laesst-sich-steuerwettbewerb-zwischen-staaten-einschraenken-14354680.html